Schulische Verkehrserziehung und Fahrschule
Spricht man von Verkehrserziehung in der Schule hat man häufig das Bild des „ABC-Schützen“ vor Augen, wenngleich dieser Begriff uns heute etwas altmodisch und überholt vorkommt. Aber sicher werden mit dem Begriff auch Erinnerungen an kleine Menschen mit einheitlichen Kappen wachgerufen und das Vermitteln grundlegender Verkehrsregeln wie z.B. „Erst rechts, dann links, dann geradeaus ...“ usw..
Verkehrserziehung in der Schule spielt sicher eine wichtige Rolle mit Schulanfängern und den Klassen der Sekundarstufe 1 als Ansprechpartner (5. bis 10. Klasse), aber Verkehrserziehung in der gymnasialen Oberstufe – muss das sein und „bringt das überhaupt etwas“? Die Oberstufenschüler gehen doch sowieso in die Fahrschule und da wird ja wohl alles Nötige besprochen, oder etwa nicht?
Unbestritten sind gerade die „jungen Fahrer“ im Alter von 18 bis 25 Jahren in besonderem Maße gefährdet. Dies lässt sich (leider) mit Statistiken eindrucksvoll belegen. Und „Gefährdung“ ist eine unpersönliche Abstraktion eines absolut elementaren Umstands: Hier geht es um Leben oder Tod!
Deshalb sollte jedes Mittel genutzt werden, um Unglücke zu verhindern und Leid zu ersparen. Tatsächlich bietet hier die Schule andere Möglichkeiten als dies im Rahmen der Fahrschulausbildung möglich ist.
Bevor auf die Vorteile schulischer Verkehrserziehung in der gymnasialen Oberstufe eingegangen wird seien an dieser Stelle den Fahrschulen einige Zeilen gewidmet. Es gilt nicht die Nachteile der Fahrschulen an dieser Stelle in den Vordergrund zu stellen. Vielmehr sei daran erinnert, dass es sehr engagierte Fahrschullehrer und sehr gute Fahrschulen gibt, die weit über das Notwendige hinaus arbeiten und sich sogar über den Abschluss hinaus mit und für ihre Kunden engagieren. Es muss aber auch daran erinnert werden, dass Fahrschulen kommerzielle Unternehmen sind, die wirtschaftlich denken und arbeiten müssen. Das begrenzt den Spielraum für die Umsetzung guter Ideen. Gelegentlich kommt es zur Kooperation von Fahrschulen und Schulen. Das wirft die Frage auf, was Schulen leisten können und Fahrschulen vielleicht nicht.
Ein großer Vorteil schulischer Lerngruppen ist deren Homogenität, verglichen mit Fahrschulgruppen. Diese Homogenität und die seit Längerem bestehende Vertrautheit miteinander eröffnet andere Möglichkeiten der Diskussion. Häufig ist die Gruppe, in der sich ein Oberstufenschüler im Unterricht findet, zumindest teilweise identisch mit der außerschulischen „Peer-Group“. Gruppendynamische Verhaltensmuster sind in homogenen Gruppen ansprechbar; in einer heterogenen Fahrschulgruppe kann dies vor dem Hintergrund gravierender sozialer Unterschiede unmöglich sein.
In den Unterrichtsinhalten der gymnasialen Oberstufe finden sich Bezüge zu einer umfassenderen „Verkehrserziehung“ als dies in Fahrschulen angesprochen werden kann. Dabei geht es nicht um die Vermittlung von Verkehrsregeln, sondern um viel grundlegendere Überlegungen. Verantwortung, Risikobereitschaft, soziale Verpflichtung, das Zustandekommen und die Akzeptanz gesetzlicher Grundlagen bis hin zur Bedeutung physikalischer, physiologischer und psychologischer Vorgänge können angesprochen und mit den sehr lebensnahen Problemen der Teilnahme am Straßenverkehr verknüpft werden.
So wird es möglich, nicht nur die rechtlichen und physikalischen Folgen eines Fehlverhaltens zu nennen, sondern die viel grundlegendere Frage nach dem WARUM eines Fehlverhaltens können angesprochen werden und damit überhaupt thematisiert werden. Dann stellt sich nicht mehr die Frage, wer im Falle einer Vorfahrtsverletzung, einer Geschwindigkeitsüberschreitung etc. schuldig ist, sondern weshalb überhaupt gegen die Regel verstoßen wurde. Jeder Verkehrsteilnehmer KENNT aus eigener Erfahrung Regelverletzungen und dass es andere Erklärungen für sie gibt als nur die Unkenntnis einer Vorschrift.
Von großem Vorteil ist dabei eine Vertrautheit mit dem „Moderator“ solcher Gespräch und in dieser Rolle findet sich die Lehrerin / der Lehrer solcher Unterrichtsstunden wieder. Es darf nicht unterschätzt werden, dass Gespräche, die persönliche Erfahrungen betreffen, zum Einen von den Jugendlichen geschätzt und gewünscht werden, zum Anderen aber große Angst vor Bloßstellung und Häme besteht. Hier bietet die Schule ein Umfeld, wie es außerhalb selten zu finden ist. Aus diesem Grund ist auch die Zusammenarbeit von Schule mit externen Fachkräften (Polizei, Juristen, Ärzte, Ingenieure, Gutachter etc.) erfolgreich: In einem vertrauten Umfeld sind offenere Gespräche möglich als im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen.
Fazit: Verkehrserziehung an Schulen für junge Erwachsene bietet Vorteile und Möglichkeiten, die sich außerhalb der Schule, von Kursen oder Klassen nicht finden lassen. Fahrschulen können die Lücke, die sich auftun würde, wenn auf dieses wertvolle Instrument verzichtet würde, nicht annähernd äquivalent füllen. Eine Zusammenarbeit Schule – Fahrschule ist wünschenswert, ist aber keine Ersatz für „schulische Verkehrserziehung in der gymnasialen Oberstufe“. In Bundesländern, die bedauerlicherweise die Infrastruktur einer schulischen Verkehrserziehung abgebaut oder abgeschafft haben oder (noch) nicht darüber verfügen, mag dies als Schritt in die richtige Richtung begrüßt werden. Aber der Verantwortung, die sich aus dem alten Spruch: „Nicht für die Schule lernen wir sondern für’s (Über-) Leben“ ergibt, wird mit Rudimenten einer Verkehrserziehung nicht genüge getan.